Ich mag keine Gruselgeschichten - schon als kleiner Junge habe ich mich schon vor den schaurigen Covern von Dracula-Hörspielen gefürchtet und diese Vinylscheiben ganz hinten in meiner Sammlung versteckt.  An dieser Abneigung hat sich bis heute nichts geändert. Dabei ist es nicht so, daß mich die Geschichten von Vampiren und Dämonen nicht in in ihren Bann ziehen können - im Gegenteil, meist versinke ich mit Haut und Haaren in den mysteriösen Geschehnissen! Schauer-Romantik à la Edgar Allan Poe macht mich zu einem völlig nervösen Nervenbündel, weshalb ich mich gegen solche Hörspiele sträube. Es kostete mich daher auch einige Überwindung, die druckfrische erste Folge aus dem Grusel Kabinett* des neuen Kultlabels Titania Medien** anzuhören, noch dazu in den Abendstunden!
Und meine ärgsten Befürchtungen sind erfüllt worden! Ich erlitt schlimmste Gänsehautschauer und mußte dämonisch gebannt das subtile Grauen dieser Geschichte durchleiden. Schuld daran ist ein wahrhaft übersinnliches Zusammenspiel zwischen der genialen Vampirnovelle aus der Feder J.S.LeFanus und der meisterhaften Hörspielumsetzung durch Marc Gruppe, dem künstlerischen Kopf von Titania Medien. Die Philosophie dieses neuen Labels, Hörspiele "auf höchstem ästhetischen Niveau" zu produzieren, bleibt kein leeres Versprechen. Beeindruckend wird von der ersten Minute an ein akustisches Gesamtkunstwerk geschaffen, das die dunkle Geschichte des Vampirs Carmilla zu einem fesselnden Kopfkino werden läßt.
Die Hörspielbearbeitung rückt das bedrohlich Dämonische weiblicher Verführungskunst, die sich in LeFanus Geschichte in dem von subtiler Erotik geprägten teuflischen Spiel des verführerisch schönen Vampirs Carmilla mit der naiv-unschuldigen Tochter eines pensionierten Generals manifestiert, in den Mittelpunkt - geradezu genial gesprochen von  Daniela Hoffmann und Manja Doering. Als Carmilla gelingt Hoffmann der schwierige Spagat zwischen der ätherisch schönen femme fragile und der grausamen, blutrünstigen femme fatale so überzeugend, daß man vergisst, ihre Stimme vornehmlich aus Liebesschnulzen mit Julia Roberts zu kennen. Auch Manja Doering verleiht ihrer Rolle herrvorragend die notwendige Doppeldeutigkeit zwischen  behüteter weiblicher Naivität und verdeckter Faszination für die unkonventionelle, völlig freie Lebensweise der Vampirin Carmilla, deren dämonische Macht sich nur scheinbar nicht gegen die rationale Welt der Männer richtet. Vordergründig ist das Leben der jungen Tochter in Gefahr, doch auf den zweiten Blick scheint in der innigen Mädchenfreundschaft zwischen Laura und Carmilla eine viel größere Bedrohung auf: die Auflösung des patriarchalen Vater-Prinzips. Daß dieses Spiel mit Weiblichkeitsmustern trotz fesselnder Spannung auf der Metaebene des Hörspiels vorhanden ist, macht Carmilla von Titania Medien zu einem absoluten Highlight!

* "Carmilla, der Vampir" ist seit Juli 2004 lieferbar!
** TITANIA MEDIEN ausgezeichnet mit dem mit dem Hörspiel-Award als bestes Newcomer-Label 2003

Michael

Zurück zum Rezensionsspecial

Zurück zu den Hörspielrezensionen

Zurück zu den News

[Home][Hörspiel-Events][Hörspielhelden][Hörspielrezensionen][Hörspielsammlung][Hörspiel-Links][Interaktiv]